About

About

seit 2010 erscheinen „kleine Kataloge“: Jeden Tag, Schmuck-Sachen, Handwerk, Ausschnitte, Wir
seit 1995 eigene Werkstatt in München
1990-1995 Studium an der Akademie der bildenden Künste, München
1989 Staatspreis des Landes Nordrheinwestfalen für Design und Innovation
1988-1989 Arbeit für Niessing als Gestalterin
1985-1988 Silberschmiedelehre an der staatlichen Fachschule für Schmuck und Glas in Neugablonz
1984 Abitur

Ausstellungen (Auswahl)

2023 Dreiklang, Tragwerk, Bayreuth, 2022 Wegweisend, Eva Maisch, Würzburg,  2021 Einzelausstellung, Schmuck und Tatortzeichnungen, Galerie Scheytt, München 2020 Einzelausstellung, Ausschnitte, Galerie Almstadt, München 2019 Weihnachten ohne Grenzen, Galerie Gesamtmetall, Frankfurt/Main 2017 Sommerausstellung bei Claus Tittmann, Berndorf 2016 20 Jahre, 20 Gäste, Galerie Barbara Weinberger, Nürnberg; Glanzlichter, Galerie Gesamtmetall, Frankfurt/Main 2015 Galerie Hermsen, Wiesbaden; 25 Jahre Galerie Treykorn, Berlin 2013 Weitblick 93/13, Atelier Anna Eichlinger, München; 15 Jahre Smuc, Franz Opperer, Rosenheim; Zeitreise,Galerie Ventil, München 2012 Sommerausstellung bei Claus Tittmann, Berndorf; Fotografie und Schmuck, Atelier Sabine Berthold, München; Verbooden Fruchten, Mei Ling Sieraden, Edam 2011 Idee Skizze Schmuck, Galerie Gesamtmetall, Frankfurt/Main 2009 Schaffende 5, Atelier Sättele, Hildesheim 2008 Dorotheen, Galerie der goldene Schnitt, Karlsruhe; Des Wahnsinns fette Beute, Die neue Sammlung Design in der Pinakothek der Moderne, München;
Einzelausstellung, Artefakt, München 2007 Golden Jears, Mei Ling Sieraden, Edam 2005 Einzelausstellung, Galerie Spandow, Berlin; 25 Jahre Ventil, München 2001Von Wegen, Goldschmiedehaus Hanau 2000 Schönmachen, Kunsthaus Kaufbeuren 1998 Woanders ist es auch schön, Orangerie im Englischen Garten, München 1997 In neuer Reihung, Friedrich W. Müller Wettbewerb, Schwäbisch Gmünd 1995 Schmuckszene95, IHM München 1994 Jahresausstellung der Gedok, Köln 1993 Gold oder Leben, eine Veranstaltungsreihe der Klasse für Schmuck und Gerät; Dannerpreis 93, Ausstellungsteilnahme, Bamberg; Von der geistigen Natur des Handwerks, Galerie Handwerk, München 1990 Designinnovation 90, Designzentrum Essen 1989 Staatspreis NRW, Designzentrum Essen, Berlin


ÜBER DOROTHEA SCHIPPEL – ZEICHNUNGEN UND SCHMUCK

Bei der Münchner Goldschmiedin Dorothea Schippel führen die Welt der Zeichnung und der Kosmos der Schmuckgestaltung seit Jahrzehnten parallele Existenzen, die sich gleichzeitig bedingen und ergänzen. Aber während die Halsketten, Armbänder, Ringe und Ohrringe stets und regelmäßig in Galerien und auf Messen zu sehen waren und sind, stellt sie ihre mit Bleistift, Kugelschreiber oder Tusche-Fineliner filigran gearbeiteten Skizzenblätter jetzt im Frühjahr 2021 zum ersten Mal in diesem Umfang öffentlich aus.

Die Gold- und Silberobjekte entstehen täglich in der Werkstatt, die nur ein paar hundert Meter von ihrer Wohnung entfernt liegt. Die bevorzugten Materialien sind Edelmetalle, Diamanten und Farbsteine, mit denen man sehr präzise arbeiten kann – wie Saphire, Granate und Zirkone. Die meisten Inspirationen findet die Mutter von drei Kindern im Alltag. Wobei, wie sie betont, nichts zufällig entsteht. Sie sucht nicht wirklich nach Anregungen, sondern sie findet einfach immer wieder etwas, das die künstlerische Beschäftigung und den Einbau ins persönliche Farb- oder Formenreservoir verdient. Bei der Schmuckarbeit geht es dann darum, diese Ideen, die ihr den ganzen Tag über durch den Kopf gehen, umzusetzen. Oft sind es Bilder, die in die innere Schatzkiste wandern. Wie etwa eine Reihe von Wassertropfen, die an der Wäscheleine hängen geblieben sind. Die hat sie dann – unter Umständen Jahre lang und auch als Foto auf dem Handy – sozusagen immer bei sich. Bis der richtige Moment gekommen ist, das im Geiste getragene Bild in abstrahierter Weise in ein Einzelstück oder – öfter – in eine kleine Serie zu überführen. Die Bilder und Ideen schlagen sich so auf Dauer in Dorothea Schippels Schmuck nieder. „Ich weiß gar nicht mal, ob ich diese Bilder aktiv suche oder automatisch sehe“, sagt sie.

An ihrem Arbeitsplatz, zwischen Mikro-Schweißgerät mit Gasflaschen, einer Drahtblechwalze und einer Ziehbank, tritt dann so ein Bild in den Schöpfungsprozess ein. In der aktuellen Werkgruppe sind es zum Beispiel gerade jene Wassertropfen. Sie kommen hier mit einem Arrangement zusammen, das andere vielleicht ein Durcheinander nennen würden: Regalböden, kleine Becher, Kästchen, Schubladen mit Unmengen von Kleinzeug. In Wahrheit handelt es sich aber um ein überreiches Konglomerat von Kostbarkeiten, aus denen Dorothea Schippel, die hier wirklich jede kleine französische oder afrikanische Glasperle, jede Öse, Feile, Pinzette, jeden Draht und jede Stahlstange kennt, sorgsamst auswählt, um so ein ideales Startfeld für Trial and Error zu gewinnen. Denn es gibt keine Vor- oder Werkzeichnung bei ihr. Vielmehr wird immer sogleich direkt mit dem Material ausgetestet. Und die Wassertropfen sind am Ende alles – nur keine Wassertropfen mehr. Das Bild war lediglich der Anlass, die Punkte in dem neuen Schmuckobjekt so anzuordnen, wie es ihr am Ende eines langen Prozesses am schlüssigsten erscheint.

Sollen diese Schmuckarbeiten, die seit dem Ende der Ausbildung einfach durchnummeriert werden und grundsätzlich keine Namen tragen, einer Einordnung unterzogen werden, kommt man vielleicht mit dem Begriff einer kontrollierten Unordnung am nächsten. Ordnung und Unordnung sind es, die sich immer wieder in der Sortierung von unterschiedlich großen Ösen, verschiedenfarbigen Edelsteinen und Perlen treffen. Dorothea Schippel dominiert dieses Prozedere, das sie diszipliniert verfolgt, bis die Kettenglieder in jedweder Figur und Stellung das machen, was sie sollen. Ob sie Punkte sind, ob sie Linien sind, Zeilen oder Klumpen. Ob sie wie kleine Architekturen um den Hals fallen oder in der Hand wie Mobiles tanzen. Immer interessieren sie am meisten Rhythmen und Strukturen, eine bestimmte Ordnung oder Unordnung. „Ich konzentriere mich auf einzelne Details, und mit diesen Elementen fange ich dann an zu spielen. Ich baue meine Welten zusammen“.

Viele Versuche werden übrigens beiseite gelegt, sie haben es am Ende nicht geschafft, die Künstlerin zu überzeugen. Aber auch die missglückten Arbeiten – ja, sie nennt sie wirklich so – dürfen sie umgeben, auch sie helfen bei der Suche nach den besten Proportionen für das künftige Stück. Die Tätigkeiten bis dahin sind oft langwierig und wiederholen sich, etwa wenn sie ein Stiftchen nach dem anderen steckt oder viele kleine Ösen zulötet. Wenn ein Objekt abkühlen muss oder zum Reinigen in der Schwefelsäure liegt. In diesen Momenten ist Zeit, all die kleinen Ansammlungen und Haufen zu betrachten und zu entscheiden: Wie geht es weiter? Hat sie dann ihr neues Schema gefunden, wird meist eine kleine Gruppe daraus, mithilfe derer die gefundenen Parameter in verschiedenen Kontrasten, Farben und Größen ausdekliniert werden. Bis wieder ein neuer Prozess, eine neue Vision ihr Interesse weckt. Dabei geht es ihr oft um Schlichtheit, Eleganz, Folgerichtigkeit. Eine Vokabel, die sie selbst häufig für ihre Arbeiten benutzt, ist: Zurückgenommenheit. Laute Formen und alles Aufdringliche sind ihr zuwider. „Ich habe nie den Anspruch, irgendetwas komplett neu zu erfinden. Etwas zu zeigen, das es noch nie gegeben hat. Ich benutze eher Dinge, die immer schon da waren, genauso wie ich ein jahrtausendealtes Handwerk verwende und mir zu eigen mache. Meine Arbeiten sind wie aus den Wörtern einer Sprache, die es schon gibt, aber die ich dann nehme, um etwas gänzlich Eigenes zu sagen.“ Aus der Werkstatt entlässt sie ihr Schmuckstück aber unbelastet, nur mit einer Nummer versehen. Der neue Besitzer kann so wiederum sein Eigenes daraus machen.

Obwohl es also nie Vorbereitungszeichnungen gibt, ist das ständige Skizzieren mit der Hand für Dorotheas Schippel ein unverzichtbarer Prozess. Wenn sie abends müde aus der Werkstatt nach Hause kommt, will sie dennoch noch nicht sofort mit der Arbeit anhalten. In einem jahrelang eingeübten Ablauf ergab es sich so, dass feinstmotorische Übungen stattfanden, die das abendliche Abklingen – vor allem während des Genusses von Fernsehkrimis – begleiten und in eine immer andere Linearität verwandeln. Das hat sie schon immer so gemacht, erzählt die Künstlerin. Was dann entsteht, ist manchmal eine Art Écriture automatique, die einerseits Ergebnis des vergangenen Schaffenstages ist, andererseits Voraussetzung für den nächsten Arbeitsvormittag. Kritzeleien manchmal nur, aus denen dann aber Gefüge wachsen. Oder neue Versuchsanordnungen über Rhythmus und Struktur. Die Feierabendentspannung geht mit einer künstlerischen Anspannung einher, die sich in manchmal seriellen, manchmal symmetrischen, immer aber kontrollierten Gebilden niederschlägt, die als quadratische, rechteckige oder wellenförmige Zeichnungen angeordnet sein können und meist auf Passepartout-Kartonresten entstehen, die in einem Regal neben dem Fernsehsofa gesammelt werden. Dorothea Schippel nennt sie ihre „Tatort-Zeichnungen“. Weil fast immer eine Folge dieser TV-Reihe im täglichen Programm kommt oder als Aufnahme bereitliegt. „Wobei ich den Tatort oftmals weniger wirklich anschaue als dass ich ihn einschalte.“ Manche kleinen Kunstwerke benötigen zwei Folgen, manche nur eine oder sogar eine halbe. Die Krimi-Handlung, auf die die Zeichnerin also gar nicht immer akribisch achtet, darf und kann sich – muss das aber nicht – auf das Drama der Wellen, Punkte und Linien auswirken.

Am nächsten Morgen geht es – immer mit Erkenntnisgewinn – in der Werkstatt wieder mit Schmuckobjekten weiter. Dort gibt dann – wie ein Talisman im Fenster stehend und stets bereit für den Blick der Künstlerin – ein Lieblings-Setzkasten voll mit Stummeln von Bleistiften in allen Härtegraden und Zu-Spitzungen das Testbild für einen neuen Tag voller Unregelmäßigkeiten, Ideen und möglichen Ordnungssystemen.

Alexander Hosch